In 2 Blog-Beiträgen werden wir Klarheit schaffen: die Richtlinie VDI 2770 erläutern, die Alleinstellungsmerkmale von iiRDS in Erinnerung rufen und Szenarien für iiRDS und für die Richtlinie VDI 2770 diskutieren. Sie werden sehen: Man kann das Eine anwenden ohne das Andere aus dem Auge verlieren zu müssen. Oder wie wir auch noch sehen werden: Einfach beide im Blick behalten und sich zu einer höchst flexiblen Lösung ergänzen lassen.
Newcomer VDI 2770 am Start
Während iiRDS auf dem besten Wege dazu ist, zum allgemein anerkannten Standard von Information 4.0 zu werden, tritt seit dem Frühjahr 2020 mit der Richtlinie VDI 2770 ein ergänzendes Regelwerk für Information-4.0-Architekten an: Herstellerinformationen aller Art – Betriebsanleitungen, Pläne, Stücklisten und Zertifikate – sollen zwischen Lieferanten und Kunden ausgetauscht und ohne großen Aufwand in fremde Systeme eingebettet werden können. Oder wie es die Richtlinie in der Einleitung definiert:
„Die Regelungen dieser Richtlinie ermöglichen eine strukturierte und einheitliche Bereitstellung von digitalen Herstellerinformationen.“
Die Richtlinie kümmert sich nicht um die Inhalte. Auch fehlt für Smart-Information-Anwendungen eine detaillierte Produktklassifikation. Ebenfalls vermisst der Informations-Architekt Benutzermetadaten, um auf Qualifizierung und Rolle des Produktbenutzers eingehen zu können.
Bemerkenswert ist die Festlegung auf ein einziges Dateiformat: PDF.
Wollten wir das nicht vermeiden in Smart-Information-Zeiten?
PDF als Dateiformat – das schreckt ab. Zunächst.
Im Maschinen- und Anlagenbau geht es oft um langlebige Systeme, für die Herstellerinformationen über mehrere Jahrzehnte verfügbar sein müssen. Da ist ein Dateiformat gefordert, das mit Sicherheit auch noch 2120 geöffnet werden können muss. Eben mit Sicherheit, und nicht nach Dechiffrierung von XML- oder HTML5-Dateiclustern, denen dann vielleicht noch die passende DTD fehlt, die dann – sind wir mal ehrlich – eh nicht sauber dokumentiert wäre. Für die Langzeitarchivierung ist gerade PDF in seiner Ausprägung PDF/A nach ISO 19005 bestens geeignet.
Für Smart-Information-Anwendungen auf Smart-Phones allerdings passt PDF weniger – selbst in der neuesten Version von PDF, 2.0, ist das nicht komfortabel genug.
Aber das wird im sehr in Traditionen verhafteten Anlagenbau auch vorerst nicht notwendig sein müssen. Dort ist man heute oft (noch) streng papierorientiert unterwegs.
Im zweiten Blogbeitrag werden wir zeigen, dass man aber durchaus mit VDI 2770 auf PDF-Basis mit dem Einstieg in die Smart-Information-Welt beginnen kann: Das Erweitern in Richtung iiRDS ist später nahtlos möglich (siehe Folgebeitrag zu iiRDS).
Kernpunkt der Richtlinie: Das Klassifizierungsschema
Die Richtlinie geht davon aus, dass Inhalte modular existieren – und im Falle dieser Richtlinie als Teildokumente im PDF. Im ersten Ansatz müssen die vorhandenen Teildokumente klassifiziert werden. So können sie später metadatengesteuert zu einem gesamten PDF-Dokument zusammengesetzt oder mithilfe von Metadaten maschinenlesbar und „findbar“ gemacht werden.
Die Richtlinie stellt dafür ein grobes, aber für Maschinen- und Anlagenbau durchdachtes und praxisgerechtes Klassifizierungsschema in 2 Stufen vor:
- 4 übergeordnete Gruppen legen den Dokumentenzweck fest.
- 12 untergeordnete Kategorien geben die Zuordnung der Teildokumente zu den in anderen Normenwerken für Betriebsanleitungen empfohlenen Sollinhalten vor – besonders deutlich erkennt man die normenbasierte Gliederung in der 3. Gruppe.
Die nachfolgende Tabelle fasst das Klassifizierungsschema zusammen (Quelle: Richtlinie VDI 2770, reduzierte Darstellung von Stefan Dierßen).
Aus dem 2stufigen Schema lässt sich ein objektorientierter Ansatz herauslesen, vom Haupt- zum Teildokument (oder Kapitel einer Betriebsanleitung). Die verschiedenen Klassen sind klar auf typische Betriebsanleitungen ausgelegt – auf physikalisch vorhandene Bauteile, Baugruppen und komplette Maschinen.
Ein wesentlicher Sinn der Klassifizierung ist die Standardisierung der Teildokumente, und die ist wiederum Voraussetzung für eine Steuerinstanz, die für die automatisierte Dokumentationszusammenstellung – von Lieferantenunterlagen beispielsweise – zuständig ist. Damit lässt sich über ein Mapping von Baugruppenbeschreibungen der Lieferanten beispielsweise das Dokumentationskapitel „Funktionsbeschreibung“ automatisiert zusammenstellen.
Die erwähnte Steuerinstanz – in der Praxis: Software oder App – ist nicht Gegenstand der VDI-Richtlinie.
Metadaten als Basis für Automatisierung
Stattdessen kümmert sich die VDI-Richtlinie intensiv um die Voraussetzungen für eine Standardisierung. So dass Teildokumente leicht zwischen den Akteuren im Umfeld eines Anlagenbauers ausgetauscht und automatisiert zusammengestellt und publiziert werden können. Diese Voraussetzungen lassen sich zeitgemäß durch Metadaten darstellen, die jedem Teildokument zugeordnet werden, und die neben vielen anderen Attributen auch die oben erwähnte Gruppen- und Kategorienzuordnung umfassen.
Die Metadaten begleiten die Teildokumente auf dem Weg zur Zielanwendung, mit diesen verpackt in ZIP-Containern.
Dabei wählt die VDI-Richtlinie ein zeitgemäßes Dateiformat für die Metadaten, nämlich eine XML-Struktur, mit dem Ziel, denfreien Austausch von Metadaten und Teildokumenten zwischen beliebigen Akteuren zu gewährleisten. Hier lässt sich das XML-Modell für die Metadatenstruktur herunterladen.
Eine andere (vereinfachte) Darstellung der Metadatenstruktur zeigt das folgende Bild (Quelle: Stefan Dierßen):
Der Metadatensatz ist im Rahmen der Richtlinie fix und nicht erweiterbar. Das kommt einer pragmatischen Anwendung entgegen, der Anlagenbauer kann damit gleich starten und erhält ein streng strukturiertes Datenmodell, ohne die üblichen Schwierigkeiten der Inkompatibilität zwischen seinen Lieferanten oder Kunden. Möchte er die Metadaten zugunsten höherer Flexibilität erweitern, so kann er nahtlos in Richtung iiRDS aufsteigen, ohne seinen Datenbestand wesentlich überarbeiten zu müssen.
Vor allem zum Thema der verwendeten Metadaten enthält der Anhang zur Richtlinie VDI 2770 ausführliches Informationsmaterial, mit dem man sofort arbeiten kann.
Abgrenzung zu iiRDS
Wenn man sich in die Richtlinie VDI 2770 vertieft, so stellt man schnell fest, dass sie wunderbar geeignet ist, eine enge Beziehung zu iiRDS zu ermöglichen. Der Anlagenbauer kann sich dokumentenorientiert nach VDI 2770 richten, aber auch die Vorteile einer Erweiterung in Richtung iiRDS anpeilen.
Der nächste Beitrag zu diesem Thema wird aufzeigen, dass iiRDS viel weitergehende Möglichkeiten bieten kann, dass je nach Use Case gerade die Vereinigung aus Standardisierung nach VDI 2770 mit ihrer schnellen pragmatischen Umsetzbarkeit mit iiRDS ein Höchstmaß an Flexibilität bewirkt. Dabei bewegt sich die Richtlinie VDI 2770 auf Dokumentenebene, iiRDS auf Topicebene – und ist dabei rückwärtskompatibel. Somit wird grundsätzlich auch eine Kombination aus beiden Regelwerken ermöglicht.
Fazit
Möchte man das Wesen der Richtlinie VDI 2770 zusammenfassen, die wesentlichen Empfehlungen auf den Punkt bringen, so ergeben sich folgende Charakteristika:
Die Richtlinie
- fokussiert ausschließlich auf (Teil-)Dokumente
- Empfiehlt das normierte PDF/A-Format zum Austauschen und Publizieren.
- erwartet als Quellmaterial Teildokumente, aus denen PDF/A-Dateien erzeugt werden.
- kümmert sich nicht um die Inhalte der Teildokumente, schreibt diese aber als Bestandteile einer Externen Technischen Dokumentation (Richtlinie VDI 4500) gemäß DIN EN 82079-1 fest.
- bietet ein standardisiertes Klassifikationssystem für Teildokumente an.
- definiert ein XML-strukturiertes nicht erweiterbares Metadatensystem zur Beschreibung der Teildokumente.
- beschreibt einen pragmatischen Prozess, um vorhandene (oder neue) Teildokumente elektronisch beschreiben und austauschen zu können.
- bietet zur Publikation einen ZIP-Container mit den erforderlichen Metadaten und Strukturen in Form von XML- und PDF-Dateien an.
- schafft den Austausch von Teildokumenten zwischen Kunden und Lieferanten.
Die Richtlinie bietet leicht verständliche Anleitungen zum Transfer vorhandener Betriebsanleitungen zu richtlinienkonformen Teildokumenten sowie Hilfestellungen zum Metadatenkonzept inklusive ausführlicher Beschreibungen und Blockdiagramme dazu. Damit bietet die Richtlinie einen schnellen und pragmatischen Weg, um bereits vorhandene Dokumentationen strukturiert digital abzubilden. Ein idealer Weg für einen Maschinen- oder Anlagenbauer, um mit überschaubarem Aufwand seine Dokumentation in Richtung Information 4.0 aufzuwerten, mit dem Vorteil der Austauschbarkeit und Integration mit Kunden und Lieferanten.
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